Im Test zeigt Marvel’s Avengers, dass es kein Totalausfall und doch meilenweit davon entfernt ist, ein gutes Spiel zu sein. Die brennende Frage lautet also vielmehr: Handelt es sich hierbei um ein Spiel nur für Fans oder können auch Franchise-Fremde mit dem Ganzen warm werden? Das hängt an einer ganz entscheidenden Sache: Ob euch das Merkmal „GaaS“, also Game as a Service, gefällt. In den nachfolgenden Zeilen erfahrt ihr alles, was ihr dazu wissen müsst.
Schon der Einstieg in Marvel’s Avengers ist bezeichnend und lässt wenig Hoffnung aufkommen. Zig Battle Passes stehen bereits zur Verfügung, tägliche-, wöchentliche- und Fraktions-Herausforderungen sowie ein Schwall von Post-Launch-Updates, die in den Startlöchern stehen. Hört sich stark nach Destiny 2 und vor allem Anthem an? Yup. Wer ein PTSD nach dem Totalschaden von EA, wo BioWare mit 200 km/h ungebremst vor die Wand gefahren ist, jetzt schon die Augen verdreht, wird sich bestätigt fühlen. Marvel’s Avengers schlägt in exakt dieselbe Kerbe. Doch es gibt auch Licht in all der Dunkelheit. Nämlich die Story bzw. den Singleplayer-Teil des Spiels.
Marvel’s Avengers – Inszenierung auf Hollywood-Niveau
Kamala Khan, ein junges Mädchen und Avengers-Fangirl, besucht eine Convention mit ihren allerliebsten Helden. Doch das Event wird von einer Katastrophe heimgesucht, bei der mehrere Hundert Menschen ihr Leben lassen müssen. Zeitsprung! Kamala hat plötzlich Superkräfte in Folge der Katastrophe und will nun mit der Kraft der Freundschaft die Avengers wieder vereinen. AIM, eine böse Organisation, bedroht nämlich die Welt.
Auch wenn die Geschichte per se keine Oscars abräumt, so ist die Inszenierung locker auf Hollywood-Niveau. Im Rahmen der rund acht bis zehn Stunden, die ihr für die Story braucht, bekommt ihr eine verdammt fette Aufmachung zu sehen. Hierbei verdient sich das Team von Crystal Dynamics jedes Lob – sei es vom Level-Design über Soundabmischung bis hin zur Inszenierung jeder einzelnen Szene. Doch auch die Charaktere selbst sowie deren (englischen) Sprecher liefern einen herausragenden Job ab. Witz, emotional oder auch wütend – alles ist dabei und sehr glaubhaft. Sandra Saad, die Stimme hinter Kamala, ist dabei der Star der ganzen Show.
An dieser Stelle sei allerdings auch erwähnt, dass die deutsche Sprachausgabe durch die Bank miserabel ist. Das liegt vor allem daran, dass die Aufnahmen der Sprecher durchgehend aus dem Zusammenhang gerissen wirken und so keinerlei Gesprächsfluss aufkommt. Zudem lassen es sich die deutschen Sprecher sehr deutlich anmerken, dass sie schlicht keinen Bock auf den Job hatten.
Um euch vor Spoilern zu bewahren, belassen wir es hierbei bei der Story. Nur so viel sei gesagt: Das Finale kann locker mit einem Avengers Endgame oder Infinty War mithalten – also auf cineastischer Ebene.
Marvel’s Avengers – Kämpfen, looten, wiederholen
Das Gameplay von Marvel’s Avengers ist wenig abwechslungsreich. Im Grunde genommen wählt ihr immer einen Bereich auf einer zugegeben großen Karte aus, kloppts/ballert euch durch das Areal und besiegt am Ende zumeist einen Boss. Dazwischen wird gelootet bis eure Taschen platzen. Nach Abschluss einer Mission verteilt ihr die Skillpunkte, die übrigens für jeden Helden einzeln zu verdienen sind. Das soll vermutlich einerseits für Langzeitmotivation sorgen, andererseits fällt ein Wechsel von beispielsweise Thor auf Black Widow umso schmerzhafter aus, weil ihr euch dann nicht mehr so mächtig fühlt.
Die Kämpfe selbst decken das ganze Repertoire voll ab. Griffe, Schläge (leicht/schwer), Tritte, Fernkampf und Spezialmoves. Alles drin, alles dran. Schön ist, dass sich jeder Avenger trotz dieses Korsetts doch sehr unterschiedlich spielt. Black Widow etwa setzt auf ihre Pistolen und Martial Arts-Fähigkeiten. Thor dagegen nutzt die Power seines Hammers, während Iron Man natürlich seinen Anzug voll ausreizt. Auch die Gegner-Anzahl (numerisch) sowie deren Variation kann sich durchaus sehen lassen. Manchmal aber übertreiben es die Entwickler allerdings auch, sodass zu viel auf dem Bildschirm passiert und das Geschehen unübersichtlich wird. Und als Nebeneffekt schmiert die Framerate gleich mit ab.
Die Service-Spiele wie Destiny, The Division oder Anthem eint dabei eines: Feinde haben Lebenspunkte und am Ende dreht sich alles darum, die richtige Ausrüstung sowie Angriffe gegen die richtigen Feinde einzusetzen. Je höher der Schwierigkeitsgrad, desto mehr Lebensenergie haben die Gegner und desto mehr Schaden kassiert ihr. Und hier versagt Marvel’s Avengers dann leider vollständig, denn es offenbart seine Schwächen.
Offensichtliche Schwächen
Im Vergleich zu einem Diablo 3 beispielsweise ist Marvel’s Avengers wahnsinnig schnell anzumerken, dass dem Spiel das gewisse Etwas fehlt. Dieser „Hook“, um Spieler ständig bei Laune zu halten. Liegt es an den zunehmend unübersichtlicheren Kämpfen? Der Gegner-KI, die eigentlich nur deswegen gewinnt, weil sie auf den höchsten beiden Schwierigkeitsgraden für Solisten unbesiegbar ist? Gerade die Missionen, in denen es gilt, verschiedene Kontrollpunkte zu halten, sind mit der dämlichen Kumpel-KI schlicht nicht machbar. Während ihr menschlichen Spielern sagen könnt, dass sie die anderen Punkte halten sollen, kloppen sich die KI-Kumpanen lieber mit den Gegnern als das Missionsziel zu befolgen.
Was merklich enttäuschender ist: Loot, den ihr aufsammelt, hat keinerlei Auswirkung auf das Aussehen der Charakter. Egal ob die Brustplatte gewöhnlich oder gar legendär ist, Iron Man sieht genauso aus wie vorher. Hier zeigen insbesondere Diablo 3 oder auch The Division 2, wie es merklich besser geht. Wenn ich einen seltenen Drop bekomme, dann will ich auch, dass man das sieht. So handelt es sich hierbei nur um arbiträre Merkmale, die einzig und allein dazu dienen, Progression zu ermöglichen.
Der Grund für dieses Versäumnis ist schnell offensichtlich: Mikrotransaktionen. Vom Start weg ist der Echtgeld-Shop nämlich prall gefüllt mit Outfits und unterschiedlichen Looks für die Avengers. Ein anderes Versäumnis ist das Endgame. Während The Division 2 beispielsweise mit einer ganzen Menge an unterschiedlichen Aktivitäten gestartet ist, bleibt die Auswahl an Beschäftigungsmöglichkeiten in Avengers sehr überschaubar. Die Warzone-Missionen sind nach spätestens einer Stunde langweilig, weil es immer dasselbe ist.
Fazit:
Service-Spiele haben einen sehr schweren Stand, nicht zuletzt wegen Anthem oder Ubisofts Ghost Recon Breakpoint. Beide Titel waren und sind schlicht miserabel. Und Avengers reiht sich im Grunde genommen in diese Liste mit ein. Nun ist aber noch längst nicht alles verloren, denn die Storyline ist zumindest in Punkto Inszenierung richtig, richtig gut. Doch danach fällt das ganze Kartenhaus in sich zusammen, sofern nicht zwei Dinge zutreffen. Erstens: Ihr seid Avengers-Fan und könnt ihr die repetitiven Missionen im Warzone-Modus hinwegsehen. Zweitens: Ihr stört euch nicht daran, dass Progression nur vorgegaukelt wird und ihr übernatürliche Kräfte braucht, um bei der ganzen Action den Überblick zu behalten (sowie die unpräzise Steuerung zu meistern).
Dann und nur dann macht Marvel’s Avengers Spaß. Am Ende ist es ein mittelmäßiger Titel, der sich alle abgelaufenen Trends der letzten fünf Jahre angeschaut hat, sie nur halb so gut nachmacht und am Ende nicht Fisch, nicht Fleisch ist. Anstatt sich auf die wenigen guten Dinge zu besinnen – die Gegnervielfalt, die unterschiedlichen Kampfstile der Helden – versuchte Crystal Dynamics einfach alles. Kann alles, aber nichts richtig. Chance vertan. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die vollmundigen Versprechen eingehalten werden, damit am Ende kein zweites Anthem bei herauskommt.